Sumach knistert in der heißen Pfanne, während draußen der Regen gegen die Küchenfenster prasselt. Ein Duft steigt auf, der sofort Bilder von Basaren und Gewürzmärkten weckt – aber das Tahini kommt aus der regionalen Ölmühle und die Kichererbsen haben nur 200 Kilometer zurückgelegt. So geht orientalische Küche heute: voller Geschmack, aber mit Haltung.
Wer sagt eigentlich, dass man für authentische orientalische Gerichte Zutaten aus fernen Ländern braucht? Diese Frage beschäftigt mich schon lange. Und ehrlich gesagt: Die Antwort überrascht.
Hülsenfrüchte: Die heimlichen Klimahelden der orientalischen Küche
Fangen wir bei den Basics an. Kichererbsen, Linsen, Bohnen – die orientalische Küche lebt von diesen kleinen Kraftpaketen. Und das ist verdammt schlau, denn Hülsenfrüchte sind echte Umwelthelden. Sie binden Stickstoff im Boden, brauchen wenig Wasser und liefern dabei mehr Protein pro Hektar als fast jede andere Pflanze.
Eine Standard-Portion Falafel aus 150g Kichererbsen hat einen CO2-Fußabdruck von gerade mal 0,2 kg – ein Rinderburger derselben Größe? 3,5 kg. Das ist schon heftig, oder? Das Umweltbundesamt empfiehlt als Faustregel für eine klimafreundliche Ernährung: weniger tierische Produkte, mehr pflanzliche Lebensmittel – ein Ansatz, den auch die orientalische Küche mit ihrem Fokus auf Hülsenfrüchte und Gemüse vorbildlich umsetzt.
Aber hier wird’s interessant: Nachhaltige Falafel-Rezepte funktionieren auch mit regionalen Sorten. Deutsche Ackerbohnen, heimische Linsen – alles was das Zeug zu richtig guten orientalischen Gerichten hat. Man muss nur wissen wie.
Gewürze als Geschmacksverstärker: Weniger ist mehr, aber gezielter
Hier mal eine steile These: Die meisten orientalischen Gewürze wachsen gar nicht so weit weg, wie wir denken. Koriander? Geht auch aus Deutschland. Dill, Petersilie, sogar Kreuzkümmel – gibt’s mittlerweile von deutschen Höfen. Natürlich nicht in den Mengen wie aus dem Nahen Osten, aber hey… wir brauchen ja auch nicht täglich Berge davon.
Was ich damit sagen will: Ein Löffel Sumach aus dem Libanon bringt mehr Geschmack als drei gehäufte Esslöffel billiges Paprikapulver aus dem Supermarkt. Weniger kaufen, aber bewusster – das funktioniert auch bei Gewürzen.
Übrigens… habt ihr schonmal selbst Harissa gemacht? Orientalische Aromen entfalten sich ganz anders, wenn sie frisch zubereitet werden. Und man weiß genau, was drin ist.
Fermentation und Konservierung: Alte Weisheiten, neue Relevanz
Jetzt wird’s richtig spannend. Die orientalische Küche kennt Fermentation schon seit Jahrhunderten – lange bevor es hip wurde, eigene Kimchi-Kulturen zu züchten. Eingelegte Turnips, fermentierte Oliven, gesäuertes Flatbread… das sind alles Techniken, die Lebensmittel länger haltbar machen und dabei den Geschmack intensivieren.
Warum das nachhaltig ist? Ganz einfach: Weniger Verschwendung, weniger Kühlbedarf, mehr Nährstoffe. Eine Win-Win-Win-Situation sozusagen.
Turşu – das sind diese bunten eingelegten Gemüse, die zu fast jedem orientalischen Essen dazugehören – lassen sich prima aus Gemüseresten machen. Karotten, die schon etwas schrumpelig werden, Kohlrabi-Schalen, zu kleine Radieschen… alles wandert in ein Glas mit Salzlake und wird zu einem würzigen Begleiter.
Regional trifft orientalisch: Wo Authentizität auf Nachhaltigkeit trifft
Hier kommt ein Punkt, der mir echt wichtig ist. Man muss sich entscheiden: Will man zu 100% authentisch kochen oder will man nachhaltig kochen? Beides gleichzeitig geht nicht immer. Aber… das ist auch okay.
Ein Taboulé mit deutschem Grünkohl statt Petersilie? Schmeckt anders, aber nicht schlechter. Hummus mit heimischen Ackerbohnen statt Kichererbsen? Wird cremiger und nussiger. Manchmal entstehen durch diese „Kompromisse“ sogar bessere Gerichte.
Das Geheimnis liegt in den Zubereitungsarten und Gewürzmischungen. Za’atar funktioniert auch mit deutschem Thymian. Baharat entfaltet seine Magie auch, wenn einzelne Komponenten regional ersetzt werden. Klimafreundlich kochen bedeutet nicht, auf Geschmack zu verzichten – es bedeutet, kreativer zu werden.
One-Pot-Wunder: Energie sparen ohne Geschmacksverlust
Mal ehrlich: Wer hat schon Lust, stundenlang am Herd zu stehen und dabei den halben Küchenstrom zu verbrauchen? Die orientalische Küche hat da eine geniale Lösung: One-Pot-Gerichte.
Mujaddara – das ist so ein Linsengericht mit Reis und karamellisierten Zwiebeln – braucht nur einen Topf und köchelt gemütlich vor sich hin. Dabei verbraucht es weniger Energie als ein Auflauf im Backofen und schmeckt mindestens genauso gut.
Oder nehmt Shakshuka: Eier in würziger Tomatensauce, alles in einer Pfanne. 20 Minuten, fertig. Wenig Abwasch, wenig Energieverbrauch, viel Geschmack. So einfach kann nachhaltig sein.
Resteverwertung auf orientalisch: Aus wenig wird viel
Was ich an der orientalischen Küche besonders liebe: Sie macht aus Resten echte Gerichte. Fattoush – der berühmte Brotsalat – ist im Grunde eine geniale Art, altes Brot zu verwerten. Mit Tomaten, Gurken, Sumach und einem guten Olivenöl wird aus hartem Fladenbrot ein frischer, knackiger Salat.
Ähnlich funktioniert es mit übrig gebliebenem Reis: Ruz bil shawieh – gebratener Reis mit allem, was der Kühlschrank hergibt. Zwiebeln, Paprika, Gewürze, vielleicht noch ein paar Nüsse drüber. Schmeckt jedes Mal anders, aber immer gut.
Hier mal ein Tipp aus meiner eigenen Küche: Übrige Falafel-Masse eignet sich perfekt für kleine Pfannkuchen. Einfach mit etwas Wasser verdünnen, in der Pfanne braten und mit Joghurt und Kräutern servieren. Meine Kinder lieben das – und ich habe weniger Abfall.
Meal Prep meets Orient: Alltagstauglich nachhaltig
Jetzt mal praktisch: Wie kriegt man nachhaltige orientalische Küche in den stressigen Alltag? Vegane Bowls sind da meine Geheimwaffe.
Sonntags einen großen Topf Linsen kochen, Gemüse rösten, Tahini-Dressing anrühren – und dann die ganze Woche über verschiedene Kombinationen zusammenstellen. Mal mit geröstetem Blumenkohl und Granatapfelkernen, mal mit mariniertem Rotkohl und gerösteten Kichererbsen.
Das Geniale daran: Die Komponenten halten sich mehrere Tage im Kühlschrank, schmecken sogar oft besser, wenn sie etwas durchgezogen sind. Und man spart Zeit, Energie und Verpackungsmüll.
Die Sache mit den Verpackungen
Apropos Verpackungsmüll – das ist so ein Punkt, der mich echt aufregt. Warum ist Bio-Hummus immer in Plastik verpackt, während die konventionelle Variante im Glas kommt? Macht doch keinen Sinn.
Deshalb: Selber machen ist nicht nur nachhaltiger, sondern oft auch günstiger. Eine Dose Kichererbsen, Tahini, Zitrone, Knoblauch – mehr braucht man nicht für Hummus. Und der schmeckt auch noch besser als gekaufter. Umweltfreundliche Zutaten gibt’s mittlerweile in fast jedem Unverpackt-Laden.
Wer keinen Zugang zu unverpackten Lebensmitteln hat: Große Packungen kaufen und portionieren. Besser zehn Kilo Linsen im Jutesack als zehn Einzelpackungen mit je einem Kilo.
Geschmack ohne Kompromisse: Warum es funktioniert
Hier die ehrliche Wahrheit: Nachhaltige orientalische Küche schmeckt nicht schlechter. Oft sogar besser. Warum? Weil man bewusster auswählt, frischer kocht und mehr Wert auf Qualität legt.
Ein selbst gemachtes Za’atar mit geröstetem Sesam aus der Region hat mehr Aroma als jede Gewürzmischung aus dem Supermarkt. Frische Kräuter vom Markt schlagen getrocknete aus der Tüte um Längen. Und selbst geröstete Nüsse? Ein Traum im Vergleich zu industriell verarbeiteten.
Das ist kein Ökö-Geschwätz, das ist einfach Realität. Beste Falafel-Rezepte entstehen mit guten Zutaten, nicht mit möglichst exotischen.
Transparenz in der Küche: Wissen, was auf den Teller kommt
Was mich in letzter Zeit beschäftigt: Wie wenig wir eigentlich über unsere Lebensmittel wissen. Wo kommen die Kichererbsen her? Wie wurden sie angebaut? Unter welchen Bedingungen geerntet? Transparente Produktionsketten werden immer wichtiger – auch in der Küche.
Orientalische Küche mit regionalen Zutaten bedeutet auch: mehr Transparenz. Wenn die Linsen vom Hof 50 Kilometer entfernt kommen, kann man den Bauern fragen, wie er arbeitet. Bei Importware aus drei verschiedenen Ländern? Schwierig.
Das heißt nicht, dass man komplett auf Importzutaten verzichten muss. Aber es heißt, bewusster zu entscheiden und zu hinterfragen.
Tradition neu denken: Evolution ohne Revolution
Am Ende geht es nicht darum, die orientalische Küche komplett umzukrempeln. Es geht darum, sie weiterzuentwickeln – ohne ihre Seele zu verlieren. Meine Großmutter hätte vermutlich gestutzt, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ich Hummus mit deutschen Ackerbohnen mache. Aber sie hätte auch verstanden, warum.
Kochen war schon immer ein Balanceakt zwischen Tradition und Verfügbarkeit, zwischen Geschmack und Möglichkeiten. Nur die Prioritäten haben sich verschoben: Heute gehört auch der Klimaschutz dazu.
Vielleicht ist das der wahre Geist der orientalischen Küche: Das Beste aus dem zu machen, was da ist. Mit Kreativität, mit Respekt vor den Zutaten und mit viel Geschmack. Das war schon vor tausend Jahren so – und das funktioniert auch heute noch.
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